Freitag, 9. November 2012

Leseprobe 4

Ausschnitt aus: Alexander Ater: Sägespäne in Blut; in: Der Chirurg der Unterwelt

 Hier sitze ich nun, um von mir zu erzählen. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es mir nicht mehr schwer fällt zuzugeben, dass ich Angst habe. Ich kann nicht sagen, was noch geschehen wird. Ich kann nur sagen, was mir bisher widerfahren ist, und das ist in letzter Zeit eher unerfreulich gewesen.
Und bevor die Frage aufkommt, warum ich nicht einfach zur Vordertür des Hauses hinausmarschiere und diesen grauenhaften Ort hinter mir lasse, will ich die Antwort vorwegnehmen: Es geht einfach nicht. Ich trete durch die Tür und lande im nächsten Augenblick wieder im Haus.
Ich kann nicht sagen, ob es genau das Haus ist, in dem alles seinen Anfang genommen hat, weil ich mir nach all den Wirrnissen nicht mehr sicher sein kann. Und nein, die Fenster zu öffnen und nach draußen zu springen ist unmöglich. Ich habe es probiert. Es gelingt mir nicht, selbst wenn ich versuche, mit roher Gewalt an mein Ziel zu gelangen. Ich habe keine Chance.
Vielleicht bin ich inzwischen weit von meiner ursprünglichen Welt entfernt. Möglicherweise auch nicht. Ich kenne mich schlicht und ergreifend zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr aus. Es fällt mir schwer zu erkennen, was zu meiner originalen Realität gehört und was Bestandteil einer alternativen Realität ist.
Sollte mir jemand weismachen, dass ein vielköpfiger Gott mit langen Tentakelarmen und einer Vorliebe für nackte Frauen Bestandteil jener Realität ist, aus der ich ursprünglich stamme, dann muss ich das glauben.
Ich bin bereit, so ziemlich alles zu glauben, weil ich so viele Dinge gesehen habe, dass ich einfach nicht weiß, was wahr ist und was nicht. Real, surreal, irreal – all das spielt für mich keine Rolle. Ich kann diese Zustände nicht unterscheiden. Diese Unsicherheit wirkt sich auf meine Stimmung aus, ich bin mit der Zeit schwerer von Gemüt geworden.
Das Fernsehprogramm? Das ist ein lächerlicher Gedanke. Seit wann gibt es im Fernsehen irgendetwas, das Sinn macht oder mit der Realität zu tun hat? Nicht einmal den Nachrichten kann man glauben.
Wer auch immer meine Notizen finden und sich durch das wilde Durcheinander wühlen wird, möge mir verzeihen. Aber meine Situation ist so, dass ich alles notiere, was mir im Augenblick in den Sinn kommt. Ganz egal, ob es in einer chronologischen Reihenfolge der Geschehnisse stattgefunden hat oder eine Wahnvorstellung meinerseits sein könnte, es kümmert mich nicht. Wann immer mir etwas einfällt, werde ich es niederschreiben, ohne Rücksicht auf ... die Realität. Wie pathetisch das klingt, schrecklich.
Im unwahrscheinlichen Fall, dass ich eines Tages selbst dazu kommen werde, Ordnung in das folgende Chaos zu bringen, wird es geschehen. Sonst bleibt es den Entdeckern überlassen, mit den Aufzeichnungen nach Gutdünken zu verfahren.
Meine Realität ist mit einem sich in Auflösung befindlichen Bindfaden an meinem linken kleinen Finger festgemacht. Wenn dieser Faden reißt, bin ich wahrscheinlich hoffnungslos dem Wahnsinn verfallen. Und da es so aussieht, als könne das jederzeit geschehen, sollte ich wohl mit den Aufzeichnungen beginnen, nicht wahr?
Logisch wäre es natürlich, am Anfang zu beginnen. Nun denn, so will ich logisch sein, so gut es mir möglich ist. Danach ...

Diese Ausgabe des eBooks wurde von mir aus dem Handel genommen, da sie in etwas veränderter Form (aus den 4 Bänden werden 2 Bände) an einen Verlag geht - die Neuausgabe ist für Ende Juni 2013 geplant.

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