Freitag, 9. November 2012

Leseprobe 2

Ausschnitt aus: Alexander Ater: Jagdinstinkt; in: Killer Klown


»Mütter der Erde, Töchter der Gezeiten, Euren Segen erbitte ich.«
Xenia schritt die letzten Meter zwischen den Bäumen über den Waldweg, die Scheinwerfer ihres Wagens als Wegweiser durch die Schwärze der Nacht nutzend. Ihr als Stadtmensch war bisher nie aufgefallen, wie dunkel die Nacht tatsächlich war, wenn es weder Straßenbeleuchtung noch hell illuminierte Schaufenster gab.
Frischer, kühler Wind strich sachte über ihre bloße Haut, gleich der Berührung einer ätherischen Hand, die sie unter dem weiten, offenstehenden Mantel sanft berührte. Der kalte Luftzug verursachte ihr Gänsehaut und harte Nippel. Gegen das unangenehme Gefühl der Kälte konnte sie nichts tun, ihr Mangel an wärmender Bekleidung war aufgrund der Umstände notwendig.
Das Schwert lag locker in ihrer linken Hand, die mattschwarze Klinge im Dunkel der Nacht kaum sichtbar. Die prächtige Scheide der Waffe, über und über mit Symbolen und Sprüchen in aufwendiger Handarbeit verziert und gestärkt, hing an einem Lederriemen lose über ihrer Schulter.
Was den Rest ihrer Ausrüstung betraf, der befand sich in kleinen Beuteln und Taschen am Gürtel um ihre Hüfte, und in einem kleinen Rucksack zwischen ihren Schultern. Wäre sie nicht halb nackt gewesen, Xenia hätte sich durchaus vorstellen können, gleich einem Ninja Richtung Domo eines verhassten Fürsten zu schleichen, um dann unbemerkt einzudringen und mit einem schnellen Schlag die darbende Bevölkerung von ihrem grausamen Herren zu befreien.
Dabei umginge sie die in solchen Fällen üblichen Wachen, die ohnehin unfähig waren. Die zwei, drei Männer, die ihr in die Quere kamen, wurden mit Wurfsternen erledigt, ehe sie mit der Selbstverständlichkeit der unbesiegbaren Kriegerin durch die Räume schritte, ihre Klinge links und rechts durch die Wände aus Reispapier stoßend. Zu beiden Seiten stürzten die dahinter versteckten Schatten schreiend zusammen, das zerfetzte Papier der Wände würde mit Fontänen von Blut eingefärbt.
Aber in Wahrheit schlich sie halb nackt in einen Park.
Die Absätze ihrer Stiefel federten über den nachgiebigen Erdboden, als sie die letzten Bäume hinter sich ließ und die weite Wiesenlandschaft betrat, in deren Zentrum ein beeindruckend großes, altes Haus stand.
Kein Domo, keine Ninja.
Das Gebäude, einer kleinen, etwas verspielten Trutzburg nicht unähnlich, sorgte mit seinen großen Fenstern und dem sich in die Nacht ergießendem Licht für ein düster-romantisches Erscheinungsbild wie aus einem anderen Jahrhundert.
Die um das Haus rasenden, auf und ab schwebenden, heulenden Gestalten zerstörten die Romantik, ließen sie zum Feuchttraum jedes todessehnsüchtigen, unglücklich verliebten Goths gerinnen. Oder zum idealen Partyplatz aller headbangenden Satanisten.
Xenia setzte behutsam einen Schritt vor den anderen, um sich nicht durch verräterisches Knacken eines kleinen Zweiges oder das Geräusch eines losgetretenen Steins vorzeitig anzukündigen. Ihre Vorsicht wurde belohnt. Sie gelangte lautlos und schnell vorwärts, näherte sich den Wiedergängern beinahe bis auf Rufweite.
Das Tattoo zwischen ihren Brüsten, ihr Schutzzauber ersten Ranges, fühlte sich warm an. Ein gutes Zeichen. Sie hatte keinen Fehler beim Erstellen des Zaubers begangen, er würde funktionieren, ihr eine Zeit lang Schutz gewähren.
Die Wiedergänger sausten vor dem Haus herum, als würden sie auf Bungeeseilen hängen. Hinter den Fenstern konnte sie Schatten erkennen. Offenbar konnten es einige Bewohner nicht lassen, ihre Warnungen zu missachten. Warum Klienten die Arbeit immer wieder schwerer als notwendig machten, war ihr schleierhaft. Dachten die Leute, sie würden um ihr Geld betrogen, wenn sie sich nicht unsinniger Gefahr aussetzten?
Ein paar Schritte noch, dann würde sie die Aufmerksamkeit der umherrasenden Kreaturen erregen.
Xenia hatte Glück. Sie erwischte, bevor sie erwischt wurde. Sie traf einen Wiedergänger im verlängerten Rücken, als er wie ein Drache im böigen Wind herumtanzte und dabei bis auf ihre Höhe sank.
Die von unten aufwärts geschwungene Klinge fuhr in seinen Arsch hoch, bahnte sich einen Weg in den Bauchraum und richtete dabei mit ungehemmter Fröhlichkeit ein Massaker an den Innereien an. Das war alles andere als elegant, aber sehr wirkungsvoll.
Der Besessene kreischte mehrstimmig auf, lenkte die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Trotz der Schmerzen, die diese Kreatur gerade erfahren musste, riss sie sich von der Klinge frei, wirbelte herum und starrte ihr aus milchig getrübten Augen entgegen.
»Fotze!«, kreischte er hysterisch.
Einstmals ein übergewichtiger Mann in den mittleren Jahren, jetzt ein faulig aussehendes und erbärmlich stinkendes Etwas. Er schwebte einige Schritte zurück.
Fetter, fliegender Mann, dachte Xenia. Hallo, Vladimir.
Die anderen rückten näher, kreisten vorsichtig und in großem Abstand um sie herum. Kreischend, lachend, schimpfend, tobend.
»Fotze!«, kreischte der Getroffene erneut.
Ein Ruck ging durch seinen Körper und er starrte sie verblüfft an. Der ganze Körper wabbelte und schwankte leicht.
»Ein gesiegeltes Schwert!« schrie Fettsack und musste sich heftig übergeben.
Er spuckte in hohem Bogen einen gewaltigen Strahl Schleim und fleischige Brocken aus, der Xenia nur knapp verfehlte. Es sah selbst unter diesen Lichtverhältnissen ekelig aus, vom durchdringenden Geruch und dem plätschernden Geräusch ganz zu schweigen. Das war nur unappetitlich. Es roch nach Magensäure, verwesendem Fleisch, mehrerer Wochen alter, eingetrockneter Pisse und Hühnchen.
»Waaah!« schrien die anderen, als er erneut kotzen musste und nicht mehr aufhörte, einen andauernden Strahl zu vomieren. Das mehrstimmige Kreischen ging beinahe im lauten Plätschern des Auswurfs unter. Während er sich übergab, schrumpfte der Besessene, sich heftig windend, immer mehr zusammen.
Gurgelnd und blubbernd, mit flüssig ersticktem Kreischen, kotzte er in hohem Bogen rings um sich alles voll, was er erwischte. Darunter einen seiner fliegenden Kollegen, der nicht schnell genug aus dem Weg kam und, eine Flut von Obszönitäten schreiend, davonschoss.
Schließlich war vom fetten Kotzer nichts mehr übrig außer der Kopf, der sich mit knallroten, hervorquellenden Augen selbst ausspie, bis der letzte Brocken fauliger Dämonenkotze zu Boden platschte.
Der Besessene war nicht mehr.
Für einige Augenblicke herrschte Stille. Es erstaunte Xenia immer wieder, welchen Radau ein reihernder Dämon veranstalten konnte. Schien ein kulturelles Phänomen zu sein. Die Dämonen in Japan waren beinahe dezent. Sie veranstalteten kaum Lärm. Sie ließen nur ihr langes, schwarzes Haar vor das Gesicht fallen und zeigten sich mit leichenblasser Haut und dunklen Augenringe. Sie bewegten sich ruckartig und waren wirklich gruselig. Sie waren viel konsequenter als das höllische Gesocks des Westens.
Drei, zwei, eins.
Der Moment der Ruhe war vorbei und die Besessenen fielen zurück in ihre überdrehte Raserei.
»Hexenfotze, Mörderin!« kreischte ein Wiedergänger und stürzte sich auf Xenia hinab. Sie war einmal eine Frau gewesen, eine nicht unattraktive dazu. Das war auch so eine Sache mit diesen Geschöpfen. Sie waren meist erstaunlich eitel.
Der weibliche Dämon prallte knapp einen Meter vor ihr entfernt gegen ein unsichtbares Hindernis und wurde um sich schlagend zurückgeschleudert.
»Sie benutzt einen Schutzbann!« kreischten die anderen und rasten noch schneller herum, darauf bedacht, Abstand zu halten.
Xenia legte ihre Hand auf das Tattoo. Es war heiß geworden. Sie hoffte, dass die Wiedergänger nicht mehr waren als das, was sie zu sein schienen. Einen Schutzzauber zweiten Ranges würde sie nicht errichten können, dazu fehlte es ihr an Erfahrung. Ungeübt wie sie war, würde der Bann wahrscheinlich nach hinten losgehen und ihr schwere Verletzungen zufügen.
Sie nahm mit schnellen Schritten kurz Anlauf, sprang hoch, überschlug sich und rammte dabei die Spitze ihrer Waffe in einen Besessenen, ehe sie ihn mit einem heftigen Tritt nach unten auf den Boden beförderte. Das Ding prallte auf den Rasen und explodierte in einen schmierigen Miniaturvulkan aus fauligem Fleisch und Blut, schleuderte meterlange Darmwindungen wie eine Würstchenkette durch die Luft.
Erneut kreischten die anderen jammernd auf, wichen zurück, um wieder zu versuchen, sich auf sie zu stürzen. Sie waren nicht die hellsten Dämonen. Auch hier waren die unnatürlichen Wesen aus anderen Kulturkreisen unerwartet abwechslungsreich.
Der Schutzbann hielt, doch die Wucht des Aufpralls warf Xenia auf den Rücken.
»Hexenfotze, Dreckspalte, Saufut!« kreischte es von oben herab, begleitet von irrem Gekicher und Gelächter sowie einem widerlichen Regen aus Spucke, Schleim und körperlichen Fäulnisprodukten.
Würmer, Larven und Käfer wanden sich in der Brühe, die auf ihrer Brust gelandet war. Angewidert wischte sie das Zeug von sich, rappelte sich auf, nahm ihr Schwert auf und warf die magisch gestärkte Klinge mit einer schnellen Bewegung direkt über ihrem Kopf nach oben. Der kotzende Wiedergänger wurde vom Schwert überrascht, das sich mit einer Drehbewegung in seinen Körper schnitt und diesen bis zu den Rippen in zwei Hälften schnitt.
Mehrstimmiges Kreischen wie aus einem übersteuerten Synthesizer der 1970er Jahre begleitete die fallenden Eingeweide, die sich in einem fetten, stinkenden Regen aus fauligen Darmschlingen und deren Inhalt über Xenia ergossen. Sie war gezwungen stehen zu bleiben, um ihre fallende Waffe wieder aufzufangen und mit einer schnellen Drehung um ihre Achse der Kreatur hinter ihr durch die Körpermitte zu schlagen.
Oberkörper und Unterleib fielen nebeneinander auf den inzwischen ziemlich ramponierten Boden. Nach einem Augenblick des Schocks kreischte die zerschnittene ehemalige Frau auf. Ihr Oberkörper erhob sich vom Boden in die Luft und sie torkelte auf Xenia zu, gebremst durch die Darmschlingen, die sich aus ihrem Unterleib wickelten.
Die Hexe berührte rasch ihr Tattoo mit zwei Fingerspitzen, küsste diese und streckte der Wiedergängerin die Hand entgegen, die beiden Finger vorgestreckt. Vom eigenen Schwung getragen rammte sich die Untote Xenias Finger in die Augäpfel, die Eiter sprühend zerplatzten, während die Fingernägel tief ins Gehirn fuhren und dort kräftig umrührten.
Die halbierte Besessene kreischte auf, schoss nach hinten davon und fiel zu Boden, mit den Armen heftig um sich dreschend, ihr Gesicht vom Kopf reißend, bis nichts weiter als der nackte Schädel zurückblieb. Die Schwertspitze erledigte den Rest... ...

 
Diese Ausgabe des eBooks wurde von mir aus dem Handel genommen, da sie in etwas veränderter Form (aus den 4 Bänden werden 2 Bände) an einen Verlag geht - die Neuausgabe ist für Ende Juni 2013 geplant.

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