»Mütter der Erde,
Töchter der Gezeiten, Euren Segen erbitte ich.«
Xenia
schritt die letzten Meter zwischen den Bäumen über den Waldweg, die
Scheinwerfer ihres Wagens als Wegweiser durch die Schwärze der Nacht
nutzend. Ihr als Stadtmensch war bisher nie aufgefallen, wie dunkel
die Nacht tatsächlich war, wenn es weder Straßenbeleuchtung noch
hell illuminierte Schaufenster gab.
Frischer,
kühler Wind strich sachte über ihre bloße Haut, gleich der
Berührung einer ätherischen Hand, die sie unter dem weiten,
offenstehenden Mantel sanft berührte. Der kalte Luftzug verursachte
ihr Gänsehaut und harte Nippel. Gegen das unangenehme Gefühl der
Kälte konnte sie nichts tun, ihr Mangel an wärmender Bekleidung war
aufgrund der Umstände notwendig.
Das
Schwert lag locker in ihrer linken Hand, die mattschwarze Klinge im
Dunkel der Nacht kaum sichtbar. Die prächtige Scheide der Waffe,
über und über mit Symbolen und Sprüchen in aufwendiger Handarbeit
verziert und gestärkt, hing an einem Lederriemen lose über ihrer
Schulter.
Was
den Rest ihrer Ausrüstung betraf, der befand sich in kleinen Beuteln
und Taschen am Gürtel um ihre Hüfte, und in einem kleinen Rucksack
zwischen ihren Schultern. Wäre sie nicht halb nackt gewesen, Xenia
hätte sich durchaus vorstellen können, gleich einem Ninja Richtung
Domo eines verhassten Fürsten zu schleichen, um dann unbemerkt
einzudringen und mit einem schnellen Schlag die darbende Bevölkerung
von ihrem grausamen Herren zu befreien.
Dabei
umginge sie die in solchen Fällen üblichen Wachen, die ohnehin
unfähig waren. Die zwei, drei Männer, die ihr in die Quere kamen,
wurden mit Wurfsternen erledigt, ehe sie mit der
Selbstverständlichkeit der unbesiegbaren Kriegerin durch die Räume
schritte, ihre Klinge links und rechts durch die Wände aus
Reispapier stoßend. Zu beiden Seiten stürzten die dahinter
versteckten Schatten schreiend zusammen, das zerfetzte Papier der
Wände würde mit Fontänen von Blut eingefärbt.
Aber
in Wahrheit schlich sie halb nackt in einen Park.
Die
Absätze ihrer Stiefel federten über den nachgiebigen Erdboden, als
sie die letzten Bäume hinter sich ließ und die weite
Wiesenlandschaft betrat, in deren Zentrum ein beeindruckend großes,
altes Haus stand.
Kein
Domo, keine Ninja.
Das
Gebäude, einer kleinen, etwas verspielten Trutzburg nicht unähnlich,
sorgte mit seinen großen Fenstern und dem sich in die Nacht
ergießendem Licht für ein düster-romantisches Erscheinungsbild wie
aus einem anderen Jahrhundert.
Die
um das Haus rasenden, auf und ab schwebenden, heulenden Gestalten
zerstörten die Romantik, ließen sie zum Feuchttraum jedes
todessehnsüchtigen, unglücklich verliebten Goths gerinnen. Oder zum
idealen Partyplatz aller headbangenden Satanisten.
Xenia
setzte behutsam einen Schritt vor den anderen, um sich nicht durch
verräterisches Knacken eines kleinen Zweiges oder das Geräusch
eines losgetretenen Steins vorzeitig anzukündigen. Ihre Vorsicht
wurde belohnt. Sie gelangte lautlos und schnell vorwärts, näherte
sich den Wiedergängern beinahe bis auf Rufweite.
Das
Tattoo zwischen ihren Brüsten, ihr Schutzzauber ersten Ranges,
fühlte sich warm an. Ein gutes Zeichen. Sie hatte keinen Fehler beim
Erstellen des Zaubers begangen, er würde funktionieren, ihr eine
Zeit lang Schutz gewähren.
Die
Wiedergänger sausten vor dem Haus herum, als würden sie auf
Bungeeseilen hängen. Hinter den Fenstern konnte sie Schatten
erkennen. Offenbar konnten es einige Bewohner nicht lassen, ihre
Warnungen zu missachten. Warum Klienten die Arbeit immer wieder
schwerer als notwendig machten, war ihr schleierhaft. Dachten die
Leute, sie würden um ihr Geld betrogen, wenn sie sich nicht
unsinniger Gefahr aussetzten?
Ein
paar Schritte noch, dann würde sie die Aufmerksamkeit der
umherrasenden Kreaturen erregen.
Xenia
hatte Glück. Sie erwischte, bevor sie erwischt wurde. Sie traf einen
Wiedergänger im verlängerten Rücken, als er wie ein Drache im
böigen Wind herumtanzte und dabei bis auf ihre Höhe sank.
Die
von unten aufwärts geschwungene Klinge fuhr in seinen Arsch hoch,
bahnte sich einen Weg in den Bauchraum und richtete dabei mit
ungehemmter Fröhlichkeit ein Massaker an den Innereien an. Das war
alles andere als elegant, aber sehr wirkungsvoll.
Der
Besessene kreischte mehrstimmig auf, lenkte die Aufmerksamkeit der
anderen auf sich. Trotz der Schmerzen, die diese Kreatur gerade
erfahren musste, riss sie sich von der Klinge frei, wirbelte herum
und starrte ihr aus milchig getrübten Augen entgegen.
»Fotze!«,
kreischte er hysterisch.
Einstmals
ein übergewichtiger Mann in den mittleren Jahren, jetzt ein faulig
aussehendes und erbärmlich stinkendes Etwas. Er schwebte einige
Schritte zurück.
Fetter,
fliegender Mann, dachte Xenia. Hallo, Vladimir.
Die
anderen rückten näher, kreisten vorsichtig und in großem Abstand
um sie herum. Kreischend, lachend, schimpfend, tobend.
»Fotze!«,
kreischte der Getroffene erneut.
Ein
Ruck ging durch seinen Körper und er starrte sie verblüfft an. Der
ganze Körper wabbelte und schwankte leicht.
»Ein
gesiegeltes Schwert!« schrie Fettsack und musste sich heftig
übergeben.
Er
spuckte in hohem Bogen einen gewaltigen Strahl Schleim und fleischige
Brocken aus, der Xenia nur knapp verfehlte. Es sah selbst unter
diesen Lichtverhältnissen ekelig aus, vom durchdringenden Geruch und
dem plätschernden Geräusch ganz zu schweigen. Das war nur
unappetitlich. Es roch nach Magensäure, verwesendem Fleisch,
mehrerer Wochen alter, eingetrockneter Pisse und Hühnchen.
»Waaah!«
schrien die anderen, als er erneut kotzen musste und nicht mehr
aufhörte, einen andauernden Strahl zu vomieren. Das mehrstimmige
Kreischen ging beinahe im lauten Plätschern des Auswurfs unter.
Während er sich übergab, schrumpfte der Besessene, sich heftig
windend, immer mehr zusammen.
Gurgelnd
und blubbernd, mit flüssig ersticktem Kreischen, kotzte er in hohem
Bogen rings um sich alles voll, was er erwischte. Darunter einen
seiner fliegenden Kollegen, der nicht schnell genug aus dem Weg kam
und, eine Flut von Obszönitäten schreiend, davonschoss.
Schließlich
war vom fetten Kotzer nichts mehr übrig außer der Kopf, der sich
mit knallroten, hervorquellenden Augen selbst ausspie, bis der letzte
Brocken fauliger Dämonenkotze zu Boden platschte.
Der
Besessene war nicht mehr.
Für
einige Augenblicke herrschte Stille. Es erstaunte Xenia immer wieder,
welchen Radau ein reihernder Dämon veranstalten konnte. Schien ein
kulturelles Phänomen zu sein. Die Dämonen in Japan waren beinahe
dezent. Sie veranstalteten kaum Lärm. Sie ließen nur ihr langes,
schwarzes Haar vor das Gesicht fallen und zeigten sich mit
leichenblasser Haut und dunklen Augenringe. Sie bewegten sich
ruckartig und waren wirklich gruselig. Sie waren viel konsequenter
als das höllische Gesocks des Westens.
Drei,
zwei, eins.
Der
Moment der Ruhe war vorbei und die Besessenen fielen zurück in ihre
überdrehte Raserei.
»Hexenfotze,
Mörderin!« kreischte ein Wiedergänger und stürzte sich auf Xenia
hinab. Sie war einmal eine Frau gewesen, eine nicht unattraktive
dazu. Das war auch so eine Sache mit diesen Geschöpfen. Sie waren
meist erstaunlich eitel.
Der
weibliche Dämon prallte knapp einen Meter vor ihr entfernt gegen ein
unsichtbares Hindernis und wurde um sich schlagend
zurückgeschleudert.
»Sie
benutzt einen Schutzbann!« kreischten die anderen und rasten noch
schneller herum, darauf bedacht, Abstand zu halten.
Xenia
legte ihre Hand auf das Tattoo. Es war heiß geworden. Sie hoffte,
dass die Wiedergänger nicht mehr waren als das, was sie zu sein
schienen. Einen Schutzzauber zweiten Ranges würde sie nicht
errichten können, dazu fehlte es ihr an Erfahrung. Ungeübt wie sie
war, würde der Bann wahrscheinlich nach hinten losgehen und ihr
schwere Verletzungen zufügen.
Sie
nahm mit schnellen Schritten kurz Anlauf, sprang hoch, überschlug
sich und rammte dabei die Spitze ihrer Waffe in einen Besessenen, ehe
sie ihn mit einem heftigen Tritt nach unten auf den Boden beförderte.
Das Ding prallte auf den Rasen und explodierte in einen schmierigen
Miniaturvulkan aus fauligem Fleisch und Blut, schleuderte meterlange
Darmwindungen wie eine Würstchenkette durch die Luft.
Erneut
kreischten die anderen jammernd auf, wichen zurück, um wieder zu
versuchen, sich auf sie zu stürzen. Sie waren nicht die hellsten
Dämonen. Auch hier waren die unnatürlichen Wesen aus anderen
Kulturkreisen unerwartet abwechslungsreich.
Der
Schutzbann hielt, doch die Wucht des Aufpralls warf Xenia auf den
Rücken.
»Hexenfotze,
Dreckspalte, Saufut!« kreischte es von oben herab, begleitet von
irrem Gekicher und Gelächter sowie einem widerlichen Regen aus
Spucke, Schleim und körperlichen Fäulnisprodukten.
Würmer,
Larven und Käfer wanden sich in der Brühe, die auf ihrer Brust
gelandet war. Angewidert wischte sie das Zeug von sich, rappelte sich
auf, nahm ihr Schwert auf und warf die magisch gestärkte Klinge mit
einer schnellen Bewegung direkt über ihrem Kopf nach oben. Der
kotzende Wiedergänger wurde vom Schwert überrascht, das sich mit
einer Drehbewegung in seinen Körper schnitt und diesen bis zu den
Rippen in zwei Hälften schnitt.
Mehrstimmiges
Kreischen wie aus einem übersteuerten Synthesizer der 1970er Jahre
begleitete die fallenden Eingeweide, die sich in einem fetten,
stinkenden Regen aus fauligen Darmschlingen und deren Inhalt über
Xenia ergossen. Sie war gezwungen stehen zu bleiben, um ihre fallende
Waffe wieder aufzufangen und mit einer schnellen Drehung um ihre
Achse der Kreatur hinter ihr durch die Körpermitte zu schlagen.
Oberkörper
und Unterleib fielen nebeneinander auf den inzwischen ziemlich
ramponierten Boden. Nach einem Augenblick des Schocks kreischte die
zerschnittene ehemalige Frau auf. Ihr Oberkörper erhob sich vom
Boden in die Luft und sie torkelte auf Xenia zu, gebremst durch die
Darmschlingen, die sich aus ihrem Unterleib wickelten.
Die
Hexe berührte rasch ihr Tattoo mit zwei Fingerspitzen, küsste diese
und streckte der Wiedergängerin die Hand entgegen, die beiden Finger
vorgestreckt. Vom eigenen Schwung getragen rammte sich die Untote
Xenias Finger in die Augäpfel, die Eiter sprühend zerplatzten,
während die Fingernägel tief ins Gehirn fuhren und dort kräftig
umrührten.
Die
halbierte Besessene kreischte auf, schoss nach hinten davon und fiel
zu Boden, mit den Armen heftig um sich dreschend, ihr Gesicht vom
Kopf reißend, bis nichts weiter als der nackte Schädel zurückblieb.
Die Schwertspitze erledigte den Rest... ...
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